Ein Marathon ist lang - 100m aber auch!
29 Jahre Jungfrau-Marathon von Interlaken zur Station Eigergletscher
Fast vergessen den Frühling und den Frühsommer hindurch, im Juli grad noch rechtzeitig «daran» gedacht! Der Jungfrau-Marathon wäre auch mal wieder fällig in Jackie’s Jahresprogramm. Motiviert sagte auch mein Mann Fabian zu… er werde mich dann unterwegs unterstützen… es ging nicht lange, da erblickte ich bei der Grüebli-Hütte am Horn einen Anschlag: «Waldumgang am 10. September» - da wusste ich natürlich, wo Gebenstorfs Ammann am 10. September hinzugehen hat… sicher nicht ins Berner-Oberland! ?
Nun, ich meldete mich trotzdem an und konnte mein Training gut in den Alltag integrieren und auch verletzungsfrei durchziehen. Der Weissensteinlauf zwei Wochen vor dem Jungfrau-Marathon stimmte mich zuversichtlich. Die Form war da und «eigentlich kann nichts schief gehen», dachte ich mir. Aber eben: ein Marathon bleibt ein Marathon und man weiss ja nie!
Am Freitagnachmittag vor dem Lauf reiste ich an. Ich wollte möglichst knapp anreisen, um mich ja nicht nervös machen zu lassen. Bereits vor dem neuen Kongresszentrum, wo die Startnummernausgabe stattfand, wurde ich auf die Stellwand im Zentrum angesprochen: «Wir haben Dich gesehen auf einer Stellwand – schnell warst Du damals». Ja, tempi passati. Aber trotzdem: die 3h47 am ersten Jungfrau-Marathon im 1993 (Samuel war da anderthalb-jährig und Stefanie vier) mit Ziel auf der Kl. Scheidegg und der 3. Gesamtrang machen mich noch heute stolz. Im 1996 (glaubs) lief ich die Strecke in unglaublichen 3h41… Ich wusste: es würde sehr knapp werden, mit meinem Ziel bis anhin, die Strecke innerhalb einer Stunde meiner Bestzeit zu beendigen, zumal diese auf dem letzten Kilometer nicht mehr 150 Höhenmeter nach unten, zur Kl. Scheidegg verläuft, sondern mit satten 150 Höhenmetern nach oben, zur Station Eigergletscher. Meine Wunschzeit erhöhte ich somit auf 4 ¾ Stunden und zu meiner Mutter Theres meinte ich selbstbewusst, dass sie die Gutewünsche-Kerze nach 5 Stunden ausblasen könne…
Kurz nochmals die Strecke erklärt: Start in Interlaken – Stadtrunde – hinaus nach Bönigen, weiter nach Wilderswil (10 km), eine erste kleine Steigung nach Gsteigwiler – Zweilütschinen – Lauterbrunne – Trümmelbachfälle – wieder Lauterbrunnen-«City» (25 km) - Wengwald – Wengen (30 km)– und dann hoch via Mettlen – Mettlenalp (probieren die Aussicht zu geniessen) – Wixi (38 km und 1827 Meter über Meer) – weiter auf einer kl. Kuhweide-Schlaufe in Richtung Haaregg – Eigermoräne – Louchernflue (41 km und 2207m ü.M.) und dann zum Ziel auf 2350m ü.M.) zur Station Eigergletscher.
Guter, kontrollierter Lauf – durchgezogen bis km 42
Wie erwähnt, war ich zuversichtlich für meinen Marathon. Doch zuletzt, am Freitag vor dem Rennen, verspürte ich doch eine gewisse Nervosität, welche sich aber in Grenzen hielt. Nicht mal die etwas vage Wettervorhersage vermochte mich gross zu enervieren. Mir war schon am Freitag klar, als es hiess, es würde nur knapp über Null Grad am Ziel sein, klar, dass ich im Velo-Trikot laufen würde. Das hat auch den Vorteil, dass man noch Handschuhe und Aermlinge in die Taschen stecken kann. Obwohl ich nicht im Sinn hatte aufzugeben, nahm ich mein obligates Nötli, sowie das GA noch mit – man weiss ja wirklich nie. Noch um 7 Uhr morgens regnete es leicht in Interlaken. Doch pünktlich zum Start liess der Regen nach und die Wolken lichteten sich etwas. Perfektes Laufwetter also. Die Temperaturen lagen bei etwas mehr als 10 Grad. 8 Uhr 30: Endlich ging es los. Der Zufall wollte es, dass Beat (und Susanne) Ummel auch gleich neben mir starteten. «Nur ja nie vor Beat laufen», dachte ich mir. Tatsächlich: Beat schlug ein gutes Tempo an, welches ich «locker» halten konnte. Irgendwo vor Lauterbrunnen, wahrscheinlich nach einer Verpflegungsstelle, war Beat nicht mehr neben mir. «Der kommt schon wieder», dachte ich und zog weiter. Auf der zweiten Hälfte der Dorfumrundung in Lauterbrunnen, nahm ich, wie jedes Mal, Tempo raus. Ich will da jeweils Energie sparen für den ersten Teil des Aufstiegs in Richtung Wengen. Wie ich aus der Zwischenzeittabelle herauslesen konnte, klappte das auch dieses Mal wunderbar und ich machte ca. 10 Ränge gut und passierte Wengen als 56. Nach rund 2Stunden 50 Minuten. Die 5 Stunden sollten also zu schaffen sein. Ja, liebe Leserschaft, aber auch Jackie wird älter. Ich lief zwar immer noch (bis nach km 38 verfiel ich nie in den Marschschritt), aber ich merkte natürlich gut, dass diese Schritte nicht mehr so kraftvoll waren wie vor 20 / 25 Jahren. Ich merkte richtig, dass ich teilweise «knorzen» musste. Aber unter keinen Umständen wollte ich marschieren! Beim Restaurant Oberland, ca. km 34, trank ich zum ersten Mal Cola. Das tat gut und von da an trank ich an jeder Verpflegungsstelle einen halben Becher davon. Zusätzlich noch 3 Mal je ca. 2 cm Bananen. Ich merkte mein Alter auch mit der Gegebenheit, dass mich ca. (ca. !) 8 Frauen überholten, allesamt jüngere und ich sah gut, mit wie viel mehr Kraft als Grosi Keller die abstossen konnten. Aber gemäss Datasport-Auszug, konnte auch ich überholen, denn tatsächlich konnte ich insgesamt, bis ins Ziel, noch 2 Plätze gutmachen. Die Wolken verzogen sich nicht so recht. Immerhin drückte 2 – 3 x die Sonne etwas durch – doch immer war ich nahe dran, die Aermlinge anzuziehen. Ich wollte aber möglichst lange damit warten, es mussten ja noch mehrere Höhenmeter vernichtet werden. Der kleine Abstieg nach dem Wixi gelang prächtig. Schön, wenn die Muskeln nicht schmerzen… aber Muskeln merkt natürlich auch J.K.! Es mussten ja noch rund 500 Höhenmeter auf diesen letzten 4 Kilometern bezwungen werden und da merkte ich, dass sie etwas schmerzten. Das «hohe» Ziel im Blickfeld, versuchte ich im Laufschritt (es war natürlich ein Marschieren) hochzukommen. Ab und zu musste ich, da Tritte so hoch waren, die Hände zu Hilfe nehmen. Neben der Moräne standen die verschiedenen Alphorn-, Treichler- und Jodel-Formationen (also ehrlich: ich bewunderete den Fahnenschwinger, der da stundenlang schwang… oder wechselten sie sich wohl ab? …). Kurz vor Moränenende dann auch die obligaten beiden Dudelsackbläser. Endlich: rund 200 flache Bergwanderwegs-Meter und wir kamen zur Louchernflue. Und währenddem es andere Jahre hier rund einen Kilometer runter, ins Ziel zur Kl. Scheidegg, ging, da biegt man seit 2021 nochmals nach rechts ab und kraxelt auf diesen letzten Metern nochmals 150 Höhenmeter nach oben. Fabian, zu Hause am Bildschirm, wähnte mich schon ins Ziel schwanken und torkeln, als nach 4h39 beim Punkt «100 Meter zum Ziel», die 4h40 verging und auch die 4h41. Erleichtert konnte er nach 4h42.32 den Computer runterfahren, seine Marschschuhe anziehen und zum Waldumgang gehen, welcher um 13h30 startete (auch der Sieger benötigte für die letzten 100 Meter rund 2 Minuten!)
Ich war nun fertig! Mit dem Lauf und auch sonst irgendwie und plötzlich überkam es mich! Irgendwie fühlte ich mich «kaputt» - aber irgendwie auch total stolz, 29 Jahre nach diesem Resultat
immer noch in «guter Verfassung» am Jungfrau-Marathon mitmachen zu können und ihn auch anständig zu beendigen. Wären wir auf der alten Strecke gelaufen, ich hätte mein Ziel, nicht mehr als eine Stunde auf meine Bestzeit zu verlieren, geschafft – nun verfehlte ich es um eine Minute… aber damit kann ich leben. Als ich nach dem ersten kurzen Ausruhen die Wertsachen abholte und aufs Handy blickte, sah ich bereits das von Fabian gesandte Resultat! Nochmals schüttelte es mich durch:
Kategoriensieg! Was wollte ich mehr!
Draussen blies der Wind, es war neblig. Man sah nicht mal zur Eigerwand. Währenddem die meisten Läufer*innen mit der neuen V-Bahn nach Grindelwald gondelten, nahm ich – Nostalgikerin und Gewohnheitstierli halt – die Wengernalpbahn ins Tal runter. Die Kl. Scheidegg ist nun ganz von der Veranstaltung «ausgeschlossen». Einerseits schade (die unmittelbare Finisher-Freude fehlt und man kann nicht «sofort» hinsitzen und etwas geniessen und sich mit den vielen Freunden und/oder Familienmitgliedern austauschen), aber anderseits bringt man so die Leute schnell runter. Kommt hinzu, dass man beim Eiger-Terminal in Grindelwald-Grund gut eingerichtet ist für das Kleiderdepot, Dusche und auch genügend Platz für Massage und Festwirtschaft hat. In 3 – 4 Jahren, wenn kaum mehr jemand von der alten Garde läuft, da ist dies vergessen und kaum mehr jemand wird der Kleinen Scheidegg nachtrauern.
Meine Freude war gross, als ich vernahm, dass ich auch schneller als die besten W65er-innen war. Das ist gar nicht selbstverständlich – Verena Iseli (1. W65, war am Limmat-Lauf ja noch vor mir!). Auch gefreut habe ich mich, dass meine Kollegin Brigit Humbel (Schwägerin von Ruth H. und Ehefrau von Achilles H.) sich als 2. W 65 klassieren konnte.
Die Rangverkündigung begann mit einer Mini-Rede und danach ging alles «ruck zuck, zack zack» und schon kurz nach 17 Uhr konnten wir ins Zügli steigen, welches in Richtung Interlaken fuhr.
Ein anstrengender Tag ging dem Ende entgegen und relativ müde stieg ich um 18 Uhr 30 in Interlaken wieder in den Zug in Richtung Aargau.
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Fazit: Ich werde älter – nicht nur leistungsmässig, auch merkte ich es, dass ich nicht mehr so viele Leute kannte. Aber trotzdem: von der Faszination hat dieser Klassiker nichts eingebüsst und nach wie vor ist er top organisiert. Spontan fällt mir nichts ein, was zu bemängeln wäre. Rund Fr. 150.00 Startgeld sind viel – aber was da alles organisiert werden muss… und die vielen Helfer… und die Toi Toi’s und die Verkehrskadetten… und…. Und…. Danke allen, welche uns seit 29 Jahren dieses Lauffest organisieren. Wer weiss, vielleicht bin ich 30 Jahre nach meinem ersten Jungfrau-Marathon nochmals dabei… aber dann ist’s vorbei - vielleicht…. ? ?
Jacqueline Keller
P.S. Sehr gerne möchte ich noch anfügen, dass der Sieger der M60, ein gewisser Guido Häfliger aus Oberkirch (LU) mit mir die Bez.-Turgi besuchte (Parallelklasse). Er gewann seine Kategorie in 4h07 mit einem Wahnsinnsvorsprung von 25 Minuten! Die 14. W60, Heidi Fässler-Zimmermann aus Willerzell, war in Turgi sogar meine Klassenkameradin. Der Turgemer Bezirksschulrasen war also ein gutes «Pflaster».